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MAGIE UND RÄTSEL ALS STRATEGIE IM KLIMAWANDEL

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Im Impressionismus wird der ästhetische Blick auf die Natur noch einmal sehr groß aufgemacht, bevor er für mehrere Jahrzehnte von Themen der Industrialisierung und sozialpolitischen Fragen in den Hintergrund gedrängt wird. Bilder einer wundervollen, zu begehrenden Natur sind indes aus dieser frühindustrialisierten Welt in meinen Kopf gewandert und haben sich als Wunschvorstellung dort eingenistet. Die Naturdarstellungen, wie sie in der abendländischen Kunst über Claude Lorraine in die Romantik, und von dieser in den Impressionismus münden und irgendwo nach Vincent van Gogh und Paul Cézanne aufhören, beschwören eine Harmonie des Menschen mit Tier und Pflanze, inmitten der so anthropozentristischen Neuzeit.

Wie passt der Mensch als Maß aller Dinge in ein Bild Lorrains, in dem der Mensch von der Mächtigkeit überragender Bäume verschluckt wird?

Paysage idyllique avec la fuite en Égypte, Claude Lorrain, 1663

Lorrain war zu seiner Zeit noch ein Außenseiter, in der Romantik und dem Impressionismus jedoch wurde die zentrale Stellung der Natur gewissermaßen zum Mainstream der Kunstszene. Der Blick auf das Schöne fiel mit dem Blick auf die Natur zusammen.


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Hinter der symbolischen Ordnung ist die Realität. Die Herstellung von Realität geschieht nie unmittelbar. Ihr sind immer Sprache und Wahrnehmung vorgeschoben. So entsteht ein Restzweifel. (zb. die Frage was ein Baum ist, stellt sich jedem anders dar. Noch unmöglicher als Wahrheit zu fassen ist, was es bedeutet, ein Baum zu sein.) Der gesamte wissenschaftliche Fortschritt hängt an der Frage, wie die symbolische Ordnung mit der Realität in Einklang zu bringen ist. Die Rätselhaftigkeit, die sich aus der Spannung zwischen symbolischer Ordnung und Realität ergibt, ist bedeutend für den Drang, Welt zu erklären.

Kunst ist hingegen kein Versuch der Erklärung, sondern sie erfüllt ihre gesellschaftliche Funktion als Spiegel der hier beschriebenen Rätselhaftigkeit. Eine künstlerische Arbeit lässt dann nicht kalt, wenn sie eine Lücke mit ausstellt. Das ästhetische Gefühl besteht aus dem Begehren, die Lücke zu schließen,- die künstlerische Arbeit wiederum begehrt die Anteilnahme der Betrachter_Innenposition. In etwa an dieser Stelle fragt Timothy Morton, ob Kunst eine Form der Magie ist:

„(…) art has an effect on me over which I am not in control. Art is demonic: it emanates from some unseen (or even unseeable) beyond, in the sense that I am not in charge of it and can’t quite perceive it directly, in front of me, constantly present. A dangerous causative flickering. In other words, magic.”

(Timothy Morton: What If Art Were a Kind of Magic?. im Magazin ArtReview, 2015)

Nun kann man fragen, was der Autor damit erreichen will, Kunst mit Adjektiven wie “magisch” und “rätselhaft” auszustatten. Klar wird jedenfalls, dass Kunst ihre eigenen Spielweisen hat, die sich von wissenschaftlichen Zugängen unterscheiden. Wissenschaftlich professionell ist, vollkommen transparent und nachvollziehbar eine rationale Beweisführung zu erbringen, die, so die Hoffnung, Realität und symbolische Ordnung näher aneinander rücken lässt. Kunst hingegen stellt das Rätsel aus,- es ließe sich sogar sagen, Kunst geht es gerade um das Rätsel, bzw. Kunst geht es um das Ausstellen des Abstandes zwischen symbolischer Ordnung und Realität.


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Die Klimabewegung ist eine Bewegung der panischen Erstarrung. Erwachsene sprechen untereinander über Natur, indem sie vor Kipppunkten und politischen Verantwortlichkeiten sprechen. Ein Bild der Natur, das vollkommen rationalisiert ist, -eine brave Reaktion auf das rechte Lager, das eine Ideologie ortet. Auf den Vorwurf der Ideologie wird mit immer mehr Wissenschaftlichkeit gekontert, doch gerade das ist vielleicht ein Fehler.

Es braucht den Charme eines künstlerischen Modus. Vorbildlich ist dafür die kulturelle/künstlerische Produktion für Kinder. Kenneth Grahames “Der Wind in den Weiden”, Hayao Miyazakis “Prinzessin Mononoke” und “Nausicae im Tal der Winde”, Selma Lagerlöfs “Nils Holgerson”, Joanne K. Rowlings “Harry Potter”, Wilhelm Hauffs “Kalif Storch”. In diesen Büchern und Filmen wird über Natur in der ganzen Bandbreite der Emotionen erzählt. Narrationen, die Flora und Fauna den kleinen Menschen so anverwandtschaftet, wie es Donna Haraway gerne für Erwachsene hätte. Die Kinderkultur ist voll der magischen Naturverwandtschaften, sie ist positiv, affirmativ, liebend, verliebt. Die Rätselhaftigkeit zwischen symbolischer Ordnung und Realität wird nicht durch rationalisierte Argumente einem Nullpunkt angenähert, sondern sie wird ausgestellt und gefeiert. Die Frage, was es bedeutet, ein Baum zu sein, treibt so manches Kinderbuch um, und es ist dabei die Frage das Aufregende,- nicht die Antwort.

Selma Lagerlöfs “Nils Holgerson”, Illustration von Lars Klinting, Erstveröffentlichung 1906

Positive, affirmative Perspektiven fehlen in Erwachsenen-Diskursen über den Klimawandel. Solche Diskurse sind reduziert auf die Appelle, die schwere Verantwortung zu tragen, die die Vereinzelten entweder zu Resignation, zu Depression, bestenfalls zu Wut führen. So vereinzeln die Einzelnen. In „Harry Potter“ heißt es so schön, Voldemort hätte das Geschick, Zwietracht zu sähen, und dagegen helfe, auf seine Freunde zu vertrauen und die Liebe zu ihnen in den Vordergrund zu stellen. Sich in dieser kindlichen Weise der Natur anzuverwandtschaften, den Baum im Hof aktiv zu begehren, soll heißen, seine Rätselhaftigkeit aktiv wahrzunehmen, führt mich zu einer Renaissance von Romantik und Impressionismus. Einen Baum zu begehren bedeutet, in Beziehung zu ihm zu treten, sich ihm anzuverwandeln. Dies ist ein neuer Naturromantizismus, der stark ist, weil er statt auf begriffliche Konzepte von Verantwortung, auf Lust und Begehren setzt.

Schluss


Klar, Konzerne und Regierungen, gesellschaftliche Zusammenschlüsse müssen notwendigerweise einem Verantwortungsdiskurs verpflichtet bleiben. Es gilt aber, dem Individuum die Ermächtigungsweise der Affirmation an die Hand zu reichen, wenn es um den Umgang mit Flora und Fauna geht. Dazu ist es nicht erst nötig, wie Jane Goodall zu leben. Es reicht schon, ein Bild vom Baum im Hof zu zeichnen, um über die Unmöglichkeit dieser Aufgabe, eine Lücke und damit eine begehrenswerte Beziehung zu schaffen.