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ÜBER PFEILE

In dieser Arbeit reflektiert die Künstlerin Howardena Pindell die Kunstwelt, und deren Ausschlussmechanismen. Die Kritiker dieser Kunstwelt bestimmen auf der Basis ihres Geschmacks entscheidend mit, welche Positionen im Kunstbetrieb gezeigt werden, und welchen der Zugang verwehrt bleibt. Ein Gewirr aus Pfeilen, jeweils ausgestattet mit Yes und No,- die Stimmen der Kritiker, überzeichnen die Selbstbeschreibung der Künstlerin. Die Stimmen sind indes widersprüchlich, -sie nehmen gegensätzliche Richtungen ein. Manche verlassen sogar den Rahmen. Während das zugrunde liegende Foto viele Grautöne zeigt, so ist es zuletzt ein klares Ja oder Nein, dass diesem Foto Zutritt zum Ausstellungsraum, zur medialen Aufmerksamkeit, verschafft, oder ihm diese Aufmerksamkeit verweigert.

Howardena Pindell „Yes- No“, 1979

In einer Arbeit, die ich 2021 gemacht habe, gab ich Pfeilen ein gleichmäßiges Gefüge, um die Struktur eines gesellschaftlichen Normverhaltens bzw. Abweichungen von diesem abzubilden. Das Bild erfüllt das Klischee des mit dem Strom Schwimmens. Die Pfeile im Inneren des Stromes sind zielstrebig. Sie entsprechen der Normativität, die in eins mit der Hegemonie fallen. Sie verhalten sich prinzipientreu, sind “auf Linie”, und bemerken nur beiläufig, wie auch die strengsten Normvorstellungen einer Gesellschaft ihre Richtung ändern. Um so näher dem Rand eines Stromes, umso mehr Bewegungsfreiheit haben die Pfeile und umso weniger sind sie dem Sog des Hauptstromes unterworfen. Der Rand ist den Pfeilen deshalb aber nicht wünschenswerter. Die Pfeile am Rand zeigen den Rand der Gesellschaft, in jenem Teil befindet sich weniger Kapital, und Existenzängste und Diskriminierungsformen greifen öfter um sich. Zugleich ist am Rand des Stroms aber auch der Ort der Kreativität. Hier findet Innovation ohne Kapital statt, Gegendiskurse entstehen als spiralförmige Pfeile. Der europäischen Leserichtung geht hier schon mal ein Pfeil gegen den Strich. Von Zeit zu Zeit gelingt es aber einigen wenigen Menschen, Paradigmenwechsel in Gang zu bringen. Das sind dann die Pfeile, die sich in der Mitte des Stromes plötzlich neu orientieren. An der Grafik möchte ich abbilden, wie durch eine minimale Geste, bspw. der Weigerung Rosa Parks, ihren Sitzplatz in einem rassengetrennten Bus der 60er in den USA freizumachen, eine enorme gesellschaftliche Dynamik entstehen kann, die den hegemonialen Konsens ordentlich ins Wackeln bringen kann.

Diese Arbeit John Baldessaris “Arrows Fly Like This, Flowers Grow Like This, Airplanes Park Like This”, erinnert mich an Ursula K. Le Guins “The Carrier Bag Theory of Fiction”. Der Narrationsstruktur eines Pfeiles, der seinen Leser ins Herz trifft, stellt sie in diesem Aufsatz eine Logik des Sammelns von Früchten und Samen, und damit den Behälter entgegen, der sich weniger gut in einen linearen Plot übersetzen lässt, als Kulturtechnik aber wesentlicher zum Erhalt der Menschheit beigetragen haben mag, als jegliche Waffenart. Baldessari zeigt bildlich die dramaturgische Linie des Pfeils, der gegen den Widerstand der Gravitation und der Luft seinen höchsten Punkt erreicht, ehe er absinkt und sein Ziel ins Herzen trifft. Darunter platziert er Bilder von Blumen, diesmal aber nicht linear angeordnet, sondern chaotisch, sich überlappend, neben- und untereinander, ungeordnet. Es ist, wie als würde Baldessari in sehr simpler Form verschiedene Wahrheiten nebeneinander zeigen. Er relativiert damit auch die Macht der linearen Narration. Noch deutlicher wird das in seiner Reihe “Commissioned Paintings” von 1969.

John Baldessari, Arrows Fly Like This, Flowers Grow Like This, Airplanes Park Like This, 1975

Die performativste und alltagstauglichste Form eines Pfeils ist der Zeigefinger. Irgendwelche Avantgardisten (war es Marcel Duchamp?) meinten mal,- das sei Kunst, worauf der Künstler mit dem Finger zeigt. Für die Konzeptkunst gilt dieser Verdacht noch mehr als für andere Kunstformen. So zitiert Baldessari den Künstler Al Held, der gesagt haben soll: “All conceptual art is just pointing at things”. Die Reihe “Comissoned Paintings” kam zustande, indem Baldessari auf Basis dieser Aussage einen Freund bat, auf Dinge zu zeigen, die dieser für interessant befand. Die fotografische Dokumentation dieses Vorgangs sollte nun in Gemälde übersetzt werden. Dafür beauftragte Baldessari verschiedene Schildmaler (Sign painting is the craft of painting lettered signs on buildings, billboards or signboards, for promoting, announcing, or identifying products, services and events. Sign painting artisans are Signwriters (wikipedia)). Im Mittelpunkt der Reihe steht letztendlich der Zeigefinger, eingebettet in einen mehr oder weniger irrelevanten Kontext. Als narrative Struktur verweist der Pfeil hier nur noch auf sich selbst. Kontext, Anfang und Ende werden zwar sichtbar, rücken aber in den Hintergrund. Wesentlich ist zu zeigen, das gezeigt wird, also auf die grundsätzliche Funktion und den Vorgang des Zeigens.

John Baldessari, Commissioned Paintings: A Painting by Anita Storck, 1969

In Ketty La Roccas Arbeit finden sich Motive und Zugänge aus den oben besprochenen Positionen wieder. Diesmal ist die Ebene der Schrift aber nicht wie bei Pindells Arbeit gleichgültig gegenüber dem Foto, sie bettet sich stattdessen in die Morphologie der Hände ein. Darin wirken die Schriftzüge wie die Namen menschlicher Gebirgszüge und Täler, die sich aus den sich krümmenden Händen ergeben. Die Gestensprache, die sich durch die Hände darbietet, die meist an der Grenze der Unkenntlichkeit gekritzelten Wörter, und doch immer wieder das klare “You” wirken herausfordernd und weisen doch ins Undeutliche, Unklare. Nicht zu letzt weil ich nicht in Gestensprache gebildet bin und die, bis auf das You, italienisch gekritzelten Wörter und Zeilen für mich nicht dechiffrierbar sind, wirken La Roccas Arbeiten auf mich mystisch- es geht im Wesentlichen um Sprache und ich verstehe doch gar nichts!

Der Pfeil, der von seiner Funktion als tödlicher Waffe ins symbolische Reich gewechselt ist, und die Hand, deren Formenrepertoire sich nicht mehr auf den Zeigefinger begnügt, zeigen die Gegenerfahrung der normativen Verdeutlichung. Sie funktionieren als das von Le Guins beschriebenes Behältnis, in dem der Plot seine Lesenden nicht ins Herz trifft, sondern in welchem er umherwandert, suchend und Spuren sammelnd.

Ketty La Rocca, Le mie parole (My Words), 1973