Eine Schülerin der 8. Klasse sagte zu mir, dass sie zu viel zu tun hatte, um der künstlerischen Freiarbeit eine halbe Stunde Aufmerksamkeit zu widmen. Sie hatte drei Wochen Zeit gehabt, und angesichts dieser langen Zeitspanne empfand ich das als unglaubwürdig. Die Schülerin zählte mir auf, was sie alles zu tun hat, beginnend mit schulischen Verpflichtungen, endend mit diversen außerschulischen Tätigkeiten.
Ich glaube aber nicht, dass die Menge ihrer Tätigkeiten das Problem darstellt, sondern, die Prioritätensetzung der Schülerin. Die Schülerin erlebt mich als immer freundlichen, verständnisvollen Lehrer. Das gehört ja auch zu meinem Programm eines lustorientierten Unterrichts. Angesichts drohender Konsequenzen in anderen Fächern im Fall ihrer Nichterledigung arbeitet sich die Schülerin an diesen ab, und infolge solcher psychischen Belastung bleibt tatsächlich keine Restzeit für ein Kunstprojekt übrig. (gibt es noch einen Unterschied zwischen dieser Angst vor dem Leistungsversagen und dem Zustand der Existenzangst? Denn auch in einer hochentwickelten Gesellschaft mit Überkonsum und Hypertechnologie verunmöglicht die Angst vor dem Versagen die Entfaltung der eigenen Anlagen, gerade so, wie Existenzängste Menschen am unteren Streifen der Bedürfnispyramide vor ihrer geistigen und kulturellen Entfaltung abhalten.)
Ein typisches Problem der Leistungsgesellschaft: Gerade die ständige Erwartung von individueller Leistung unterdrückt das, worum es eigentlich gehen sollte, zb. die lustvolle Entfaltung des Selbst im Interesse Aller. Leistungsbereitschaft wird zum Gegenspieler von Lust.
Motivationspsychologisch wird meine Schülerin letztlich von Bestrafung und Belohnung motiviert, also extrinsisch, statt dass Sie von eigenen Interessen geleitet, intrinsische Motivation entfalten kann. Ein Unterricht, der auf intrinsische Motivation angelegt ist, droht in einem Gesamtklima extrinsischer Motivation unterzugehen.
Wo ist eine Lösung für diese Situation? Ich könnte selbst auf Belohnung und Bestrafung umstellen, das wäre der einfachste Weg. Ich würde so aber meinem humanistischen Anspruch entsagen.
Ich kann es aber auch nicht so sein lassen wie es ist, denn dann unterwirft sich meine Schülerin nur noch vollständiger dem Leistungsgebot, das die Sprache von Belohnung und Bestrafung spricht.
Eine andere Methode kam mir in den Sinn als wir gestern die Yoshitomo Nara Ausstellung in der Albertina Modern besuchten. Den Schülerinnen gefiel diese Ausstellung von allen bisherigen besonders gut, vor allem, weil sie entspannt, niederschwellig erscheint. Zeichnungen, oft skizzenhaft und unvollständig auf Briefumschlägen und billigen Materialien wie Kartonagen mit leicht hin gesetzten Sprüchen kombiniert… Über das Haus, das Nara seinem Atelier nachempfunden in den Ausstellungsraum gebaut hat, sagte oben erwähnte Schülerin, dass es sie inspiriert, weil… „es nicht so nach Leistung aussieht“.
Vielleicht ist es möglich, anhand von Positionen wie Nara die Problematik mit der Leistung zu thematisieren und darüber zu einer Priorisierung von intrinsisch motiviertem Handeln zu gelangen.