Bringe ich den SuS Schemen und Techniken bei, lehre ich das Handwerk eines Wissensgebietes. In diesen Bereich fällt zum Beispiel die Gliederpuppe und diverse Tutorials auf TikTok und YouTube. Für die Lehre solcher Techniken verweise ich die SuS aufs Handy, denn weder kann ich sie, noch sehe ich mich für ihre Lehre zuständig. Da ich von einem Kunstbegriff ausgehe, der nichts mit Korrektheit und wenig mit Vollständigkeit zu tun hat, sind die Ergebnisse meiner Klassen meist schmutziger, wilder, weniger zusammenhängend als die Ergebnisse der anderen Klassen- und ich merke, wie sich meine Kollegin verlegen schmunzelnd zurückhält, solcherlei anzusprechen.
Mein Unterricht soll ein Gefühl davon vermitteln, was eine künstlerische Existenz in unserer Gesellschaft sein kann und er soll zeigen, was sich alles unter dem Begriff der Kunst versammelt. Dabei propagiere ich einen Kunstbegriff, der weit entfernt ist von Sauberkeit und noch weiter von Einheitlichkeit. Es gibt zwar Formen und Bereiche der Kunst, in denen diese Begriffe eine Rolle spielen, aber im schulischen Bereich kommt der Kunst eine zusätzliche Aufgabe zu, die schwer mit Sauberkeit und Einheitlichkeit vereinbar ist: Sie oppositioniert sich gegenüber präzisen Disziplinen, sie geht in Gegnerinnenschaft zu deutlich getrennten Kategorien und wirbt für Uneindeutigkeit. Die Kunst in der Schule ist die offizielle Vertreterin des Chaos inmitten der Ordnung.
Die SuS kommen in der ersten Klasse in den BE-Unterricht, und fragen zunächst alle paar Minuten, ob dieser Strich so stimmt, ob sie dies und jenes so machen dürfen. Das ist klar,- es ist erst vier Jahre her, dass sie dem Gesellschaftssystem vorgestellt wurden. Das übermächtige System gebart sich vor dem einzelnen Kind einschüchternd, wie lieb die ersten Lehrenden auch sein mögen. In allen Firsts, die ein Mensch vor sich hat, möchte er/sie es “richtig” machen (Vielleicht ist “richtig” eine Bewältigungsstrategie?). Problematischer- und zugleich notwendigerweise wird systemisch vermittelt, es gäbe Richtigkeit. Diese Einbildung ist vielleicht der erste Schritt zu einer Ordnung. Aus diesem Grund kommt immer wieder der Verdacht auf, die Schule würde die Kreativität der Kinder zerstören. In Wahrheit ist der erste Kontakt mit der Schule als dem ersten Kontakt mit der Außenwelt, verknüpft mit der ersten existenziellen Krise, und allen ihren Folgeerscheinungen. In einer existenziellen Krise möchte man vorrangig überleben, und schließt sich daher bspw. einem Rudel an. Darunter leidet Kreativität als eine Form des Individualismus. Aber auch andere Bewältigungsstrategien wirken sich auf Kreativität schadhaft aus. Zum Beispiel ahmt man die Sonnenblume der Lehrperson nach, weil sich diese Geste seit frühester Kindheit als erfolgreich erweist. Nur selten wird Kreativität von Anfang der schulischen Laufbahn an selbst zu einer Bewältigungsstrategie. Der Kreativitätsverlust kehrt also weniger wegen der Schule ein, als wegen jener Debüt-Jahre im Gesellschaftssystem (mit immer geringer werdendem elterlichen Rückhalt).
Haben die Kinder die gesellschaftliche Ordnung als Basis für ihr gesellschaftliches Weiterkommen akzeptiert, kann und soll der Kunstunterricht zu einem wichtigen Freund und Helfer werden, der Kind und Jugendlichen Zugänge zu einer Infragestellung gesellschaftlicher Ordnungen eröffnet. Er soll ihnen die Möglichkeit vor Augen zu führen, dass sie die Ordnung verwischen können. Es ist schließlich eine vordergründige Aufgabe des Kunstunterrichts, den Jugendlichen Kunst als ein Feld zu eröffnen, das ins Unbekannte hinausführt.