Heute hatte ich eine ungewöhnliche BE Stunde mit meinen 10 bis 11-Jährigen. Die Schüler*innen hatten wie beauftragt, ihre Laptops mit gebracht. Letztes Mal hatten wir eine Dokumentation über Bjarne Ingels angesehen ( >link) und wurden damit in die Welt der virtuellen Architekturkonstruktion eingeführt. In der anschließenden Reflexion dieses Filmes meinte ein Schüler, man könne auch in Minecraft Häuser bauen, und ich griff diese Idee auf. Die Aufgabe bestand darin, in Zweier,- oder Dreierarbeit eine Schule zu bauen, in die die Schüler*innen jeden Tag liebend gerne gehen würden. Die Bedürfnisse aller Schüler*innen sollten dabei berücksichtigt werden. (Eine Schülerin fragte: Sollen wir eine Schule zum Lernen bauen, oder eine, in der wir Spaß haben? Ich antwortete: Baut eine Schule, in der das Lernen den größten Spaß macht.)
Die folgenden Minuten fühlten sich für mich sehr ungewöhnlich an. In meinen Stunden in der Tagesbetreuung geht es schließlich zu einem nicht unbeträchtlichen Teil darum, darauf zu schauen, dass die Schüler*innen nicht in Versuchung kommen, eben Minecraft zu spielen,- die Liste der erlaubten Tätigkeiten am Laptop ist abgestimmt mit der Leitung der Tagesbetreuung und den Klassenlehrenden. Minecraft ist darin so etwas wie der Gegenspieler deren didaktischen Ziele.
Ich rechne mich den digitalskeptischen KunstpädagogInnen zu, denn ich glaube, zu den zahlreichen Aufgaben des BE-Unterrichts gehört es, ein Gegengewicht zur perzeptiven Monotonie des Digitalen zu bilden, durch das Arbeiten mit Pastellkreiden, mit schmutziger Kohle, mit stinkiger Chemie, mit sperrigen Fotoapparaten usw. Die Minecraft-Aufgabenstellung ist also ungewöhnlich für meinen Lehrstil. Ich bemerkte das am schlechten Gewissen, das sich immer wieder einstellte, während ich durch die Reihen ging, vorbei an ekstatisch in den Bildschirm starrenden Kindern. Da ein Drittel der Klasse bisher kein Minecraft gespielt hatte, fürchtete ich, dieses Drittel würde nun durch mich in den schädlichen Gaming-Sog gebracht. Was würden außerdem die Eltern sagen, und wie käme das im Kollegium an? Gaming & Jugendliche wird nämlich als eine zwiespältige Kombination diskutiert: Das Suchtpotenzial ist unbestritten, und das blinzellose Starren in blaues Licht, gepaart mit einem Gamingbuckel sind ernsthafte Aussichten. Am Schluss dieser Einheit leitete ich die Schüler*innen an, sich auszuschütteln und mit ihren Augen ihrem Daumen zu folgen, der eine große liegende Acht ziehen sollte.
Rückhalt in Hinblick auf eine Digitalisierung des BE-Unterrichts bietet die Initiative DIDAE (Digital Didactics in Art Education), die kürzlich vom Institut für künstlerisches Lehramt zusammen mit anderen europäischen Universitäten ins Leben gerufen wurde. Digitale Tools sind unweigerlicher und immer größer werdender Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens, und natürlich muss sich auch Schule, besonders die Bildnerische Erziehung dessen vermittlerisch annehmen. Die Idee, Minecraft in den Kunstunterricht zu holen, ist schon auf dieser Website zu finden,- die Lehrerin Szilvia Csikó hat sie vorgestellt (> link). Csikó schlägt vor, die Schüler*innen mit Minecraft ein Museum bauen zu lassen. Sie sollen sich dabei von der Frage leiten lassen, was ein sympathisches Museum ausmacht.
Zweifellos fällt Gaming und Interface Design in den Aufgabenbereich Bildnerischer Erziehung. Besonders die Ästhetik und das Design von Games darf nicht der Vermittlung durch die Gaming Industrie überlassen werden. Eine Perspektive wird immer dringlicher, nach welcher Schule in Konkurrenz zu Industrien gesehen werden muss. Diverse Industrien haben heute größeren Zugriff auf Kinder und Jugendliche denn je. Tiktok, Gaming Plattformen, Youtube und Spotify, Social Media wie snapchat und instagram- sie alle sind Bildungsinstitutionen, die ihre eigenen Bildungsziele verfolgen. Wo verortet sich in all dem die Schule, als jene Institution, die vormals staatlichen Interessen diente, mittlerweile zumindest dem Versprechen nach der Bildung eigener Interessen und Fähigkeiten nachzukommen hat? Aus Sicht der Bildnerischen Erziehung ist wohl klar, dass es in ideologisch durchpflügten Feldern wie dem Internet um eine Schärfung der Wahrnehmungsfähigkeit gehen muss. Zugleich ist aber nicht nur die kritische Linie zu verfolgen, sondern auch konstruktiv mit digitalen Tools umzugehen. Die Befähigung zur aktiven Mitgestaltung digitaler Lebensrealitäten soll wegführen von einer bloßen Konsumation, ob kritischer oder affirmativer Art, und die Möglichkeit bekräftigen, dass auch Einzelne konstruktiv eingreifen, verändern und produzieren können. Die demokratische Idee des Internets soll auch mittels Bildnerischer Erziehung ihrem Untergang entgehen.