Über den Jahreswechsel war ich zuletzt in eine kleine Lehrerlaufbahn-krise gefallen, wäre ich doch immer gern ein weltberühmter Star geworden! Im Lehrerjob ist die mir entgegengebrachte Anerkennung anderer Natur, denn ich kann mich freuen, wenn hie und da Schüler*innen die Qualität meines Unterrichts auffällt und sie das mir gegenüber sogar kommunizieren. Der Stimmung im Klassenzimmer ist abzulesen, ob die SuS gefordert sind, und ihnen die Herausforderung auch Spaß bereitet. Auch das ist Anlass zur Freude, wenngleich einer sanften Freude, einer wohltuenden Erfahrung von Selbstwirksamkeit, keiner irren, wilden Euphorie, die ich allgemein mit der Staretage assoziiere.
Gleichwohl muss ich feststellen, dass mein Unterricht an etlichen Stellen noch lange nicht ausgereift ist. Es mangelt mir oft an Struktur in der Vorbereitung und im Klassenzimmer. Zum Beispiel ist es wesentlich, den SuS einen Prozess in den richtigen Worten erklären zu können,- eine Sache der Vorbereitung, vergleichbar mit dem Skripten und Auswendig Lernen eines Textes in der Schauspielwelt.
Aber der Arbeitsaufwand, den das Vorbereiten in dieser Tiefe bedeutet, übertrifft das Doppelte der reinen Unterrichtszeit bei weitem (und damit nicht nur den Bereich bezahlter Arbeit, sondern auch den Bereich notwendiger Freizeit). Dieser Arbeitsaufwand ist nur über mehrere Jahre zu leisten, und scheint mir gleichbedeutend zu sein mit dem Aufbau eines Stocks an gefestigten, erprobten Konzepten. Ich bin ja nun in meinem 5. Unterrichtsjahres und meine Kollegin teilte mit mir folgende erhellende Einschätzung: Es braucht 8 Jahre, um einen vernünftigen Stock aufzubauen, diese Zeit ist sehr arbeitsintensiv- die nächsten 8 Jahre kann man sich “zurücklehnen”, denn das aufgebaute Konvolut ist quasi ein Selbstläufer. Die folgenden 8 Jahre werden dann wieder anstrengender, denn mittlerweile hat sich die Gesellschaft weiterentwickelt, und es bedarf der Adaption neuer Techniken, Inhalte, Methoden, und eine Befragung des eigenen pädagogisch-professionellen Selbstverständnisses.
Abseits dessen wird man ja als Mensch und im Beruf (hoffentlich) reifer und erfahrener, und dementsprechend als Lehrperson “besser”. Hilde Zadek meinte für den Bereich der Gesangsausbildung, ein halbwegs vernünftiger Lehrer wäre man nach 5 Jahren, Meisterschaft im Lehren erlangte man allerdings erst in 20 Jahren. Und sie fügte hier auch Qualitäten der Reife und Erfahrung hinzu, die Junglehrende gar nicht haben können.
Diese gedanklichen Aufstellungen über die Entwicklung einer Lehrendenlaufbahn sind eine Orientierung, -ich kann mich mit ihnen über momentane Defizite hinwegtrösten. Andererseits ist ihnen aber auch nicht so ganz zu trauen,- sie stehen im Verdacht, jugendliche Qualitäten zu unterschätzen. Und tendenziell ist älteren Kolleg*innen der Anschluss an die aktuelle Lebensrealität mit ihren derzeitigen Erscheinungen und technischen Innovationen viel schwieriger zu bewerkstelligen, als jenen Lehrenden, die mit diesen Innovationen und Erscheinungen aufgewachsen sind. Idealerweise gelingt es, die Rosinen aus beiden Perspektiven herauszupicken.
Im Übrigen ist der Titel dieses Posts fragwürdig, denn er vermittelt ein in 1 fallen von Beruf und Leben. Diese Vorstellung ist eindeutig veraltet, denn heutige Lebensläufe sind berufsungebundener als je zuvor. Dennoch empfinde ich die Entwicklung eines beruflichen Selbst über viele Jahre als reizvoll. Mein Gedanke ist dramaturgischer Natur: Als Mensch entwickelt man sich über die Beziehung zu Gesellschaft, zu Welt. Das Spannende ist dabei die Entwicklung, die Veränderung. Die Veränderung kann dabei nur in Beziehung mit dem Anderen geschehen. Das Kunstpädagogische ist als solches Anderes aus mindestens zwei Gründen sehr geeignet. Zum Einen beinhaltet es die fortwährende Auseinandersetzung mit jungen Menschen, bietet also die fortwährende Beziehung zu Stadien der Dynamik, der Unsicherheit und Offenheit. Über diese ständige Vorführung menschlicher Beweglichkeit kann es gelingen, Verschließungen, Dogmatisierungen, Versteifungen an sich selbst zu vermeiden. Zweitens ist Kunst jener Bereich, der sich professionell mit Wahrnehmung auseinandersetzt. Und am Wahrnehmungsapparat hängt schließlich die gesamte Fähigkeit der Selbstveränderung.