Das Studium hat mich fast schon dazu verpflichtet, den alten europäischen Kunstkanon nicht einfach zu übernehmen. Die Konsequenz daraus bedeutet allerdings viel Lese-, und Recherchearbeit in eigener Regie. Als Kunstlehrer bin ich Kurator insofern als ich entscheide, welche Positionen im Unterricht überhaupt thematisiert werden. Jeglicher Objektivitätsanspruch scheitert dabei kläglich. Was macht Kunst gut, und welche ist zu verneinen? Unweigerlich muss ich mich selbst ideologisch verorten. Aber das ist nur die politische Sphäre- dazu kommen meine persönlichen ästhetischen Vorlieben, die mit der abzudeckenden Vielfalt des Fachgebiets in Konflikt geraten. Nicht zuletzt sollten die Anlagen und Wünsche der SuS mit ins Boot geholt werden. Der SuS wegen empfinde ich es nunmehr als notwendig, mich künftig deutlich mehr mit dem schematischen Zeichnen von Mangafiguren auseinanderzusetzen, als auch, mein Wissen über die Mangakultur zu vertiefen.
In ideologischer Hinsicht nehme ich wohl das ein, was gesellschaftlich gerade als identitätspolitische Perspektive verhandelt wird- ich versuche, möglichst diverse künstlerisch tätige Identitäten in den Kunstunterricht zu holen. Das gelingt mir bei weitem nicht so gut, wie ich es gerne hätte, was ganz einfach an meinem eigenen Bildungshorizont liegt. Gombrichs Geschichte der Kunst ist zu einem wichtigen Referenzbuch geworden, welches vordergründig eine Kunstgeschichte des europäischen Mannes zeichnet. Die große Sammlung an Kunstmonografien, die ich von meinen Eltern mit bekommen habe, ist zu 90 Prozent eine Kunstgeschichte des europäischen Mannes und auch wenn meine Kunstgeschichtelehrerin in der Oberstufe pubertierende Teenager für die Renaissance begeistern konnte, so war diese Renaissance in ihren Erzählungen von europäischen Männern gefüllt. Eine diversere Sicht wurde mir erst über die Vorlesungen an der Akademie eröffnet, jedoch ist der Trend zur Diversifizierung erst in den letzten Jahren richtig angekommen, und die feministischen und postkolonialen Kunstgeschichten sind gerade noch druckfrisch… Der europäisch männliche Kunstkanon ist mir also so verinnerlicht, dass er nicht bloß neu eingefärbt werden kann. Ich muss ihn einfach immer Schritt für Schritt, immer mehr mit neuen diversen Positionen verweben.
Doch das ist noch gar nicht das größte Problem. Bei diesem handelt es sich um die Frage, wie mit eigenen Vorlieben umzugehen ist, was ästhetische und mediale Zugänge und ihren Eingang in den Unterricht angeht. Ich liebe Florine Stettheimers Malerei zum Beispiel um so vieles mehr als Claude Cahuns Selbstportraits, und ich schätze Donald Judd überhaupt nicht, Sol LeWitt kann mir gestohlen bleiben, John Baldessari begeistert mich hingegen schon seit Jahren. Viele abstrakte Expressionisten patzen für mein Gefühl einfach vollkommen gefühllos Farbe auf die Leinwand, oder haben so billige Tricks, wie das Motiv einfach auf den Kopf zu stellen. Es macht mir keinen Spaß, das im Unterricht zu thematisieren. Dabei ergibt sich immer wieder in Gesprächen mit befreundeten Künstler*innen, dass oft solche von mir abgelehnten Positionen für sie in der Schulzeit augenöffnende Aha-Erlebnisse bedeuteten.
Eine Möglichkeit, die Diversifizierung zu erhalten, besteht klarerweise in Referaten. Zuletzt machte ich Referatepools, in welchen die SuS aus einer Vorauswahl entscheiden konnten, welche Position sie vorstellen wollen. So gelangte ich und eine 6. Klasse in den Genuss, ein tolles Referat über die Künstlerin Megumi Igarashi hören, welches mir die Künstlerin selbst nochmal von einer Perspektive erschloss, der ich etwas abgewinnen konnte.