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DIE NOTE KLASSISCH VERGEBEN, ABER GESELLSCHAFTSPOLITISCH LESEN!

Gestern im Gespräch mit Theresa und Johanna habe ich zum ersten Mal meine neue Position zu Noten im Fach BE argumentiert. Ich bin nun nicht mehr bloß Gegner von Ziffernnoten.

Noten fassen keineswegs die inneren Anlagen der SuS in einer Zahl zusammen. So eine Interpretation von Zahlennoten ist schädlich, ja gefährlich. Stattdessen sind Noten als Symptome der Beziehung zwischen Individuen und Gesellschaft zu verstehen. Die Jugendlichen sind darin nicht als autonom und selbstverantwortlich zu begreifen, sondern als Konglomerate aus Sozialisierung, kultureller Prägung und biologischer Veranlagung.

Die Sozialisierung erlaubt manchen Jugendlichen aus bildungsbürgerlichen Haushalten bspw. ein selbstbewusstes Auftreten, eine elaborierte Sprache, die sie im Unterricht einzusetzen wissen. Jugendliche, die nicht schon als Kinder mit ins Museum genommen wurden, bringen indes weniger Wissen mit, und haben sich nicht in der gleichen Weise durchs Museum zu bewegen gelernt, wie ihre Kolleg_Innen.

Die kulturelle Prägung erlaubt es SuS mit europäisch- katholischem Hintergrund, sich leichter in die Ikonografie der europäischen Kunstgeschichte hinein zu denken, als den SuS, welche bspw. aus einer islamisch geprägten Kultur in die Schullaufbahn in Österreich einsteigen. Die Note zeigt hier eine kulturelle Priorität, was ein ziemlich zwielichtiges Unterfangen ist.

Und dann gibt es bekanntlich Morgenmenschen und Abendmenschen: Den Einen kommt das Frühaufstehen zugute, den Anderen gerät es zum Nachteil. Oder fließt in die Beurteilung auch die Periode ein, denn ich habe noch nie gehört, dass die terminliche Planung der Schularbeiten und Prüfungen mit dem (Menstruations)zyklus in Einklang gebracht würde.

Auch die individuelle Bezugsnormorientierung kommt an diesen Problemen nicht vorbei. Denn auch, wenn man den Lernerfolg eines SuS allein an seinem/ihrem individuellen Fortschritt misst (was meiner Erfahrung nach infolge des ungleich größeren Aufwandes zur sozialen Bezugsnormorientierung die wenigsten tun), fällt dabei die Lebenssituation des/der SuS unter den Tisch.

Die Note zeigt also viel mehr als den Wissensstand von SuS, die Ungerechtigkeit und Ungleichheit des gesellschaftlichen Systems an. Das anzuzeigen ist aber doch eine wertvolle Funktion der Noten.

Nun ist aber klar, dass der Fokus nicht darauf liegt. Noten werden traditionellerweise auf die Individuen bezogen, die sie, in der Schulnachricht festgehalten, mit nach Hause bringen. Solange es so ist, sind Noten schädlich. Das liegt aber doch nicht an den Noten,- es liegt an ihrer Leseweise. Lehrende sollten gegenüber den SuS und den Eltern und in der Bildungsdebatte darauf hinweisen, dass Noten in erster Linie die gesellschaftlichen Verhältnisse anzeigen, jedoch nicht im Stande sind zu filtern, zu was Jugendliche im Bildnerischen taugen. Über die Jugendlichen sagen sie bloß aus, wie diese sich im Rahmen der vorgefundenen gesellschaftlichen Ungleichheitsverhältnisse zurecht finden.