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Detournements, rituelles Kuchenbacken und historistischer Panoramablick


Dienstag, 14.12.2021 /5.

Zur Vorgeschichte:

Das zweite Projekt in diesem Semester ergab sich aus einer denkwürdig gelungenen Konversation zwischen mir und SuS der 5C. Wir hatten uns zu Beginn des Semesters einander vorgestellt, und ich hatte diese Vorstellungsrunde sehr genau genommen. Ich widmete mich genau den Bedürfnissen, Wünschen, insbesonders dem mitgebrachtem Wissen der SuS. Nachdem drei der SuS angaben, gerne zu backen, hatte ich eine Assoziation zu Ann Bamfords Studie mit dem Titel “Der WoW Faktor”, in welchem sie schreibt, dass der Kunst-Lerhplan in Buthan das rituelle Kuchenbacken beinhaltet. (Vgl. Bamford Anne (2010): Der Wow Faktor. Eine weltweite Anslyse der Qualität künstlerischer Bildung. Waxmann Verlag Münster S. 71 2.Abs.) Die SuS waren auf diese Bemerkung hin sehr dafür, im BE Unterricht etwas zu backen. Da ich für das Semester dem Matura-Pool entsprechend das Thema Architektur vor hatte, vereinbarten wir das Backen von Lebkuchenhäusern. An diesen Häusern, so mein Ziel, würden wir verschiedene architektonische Stile exemplifizieren. So,- war mein erster Gedanke, würden wir Häuser mit vier unterschiedlichen Fassaden bauen und uns dabei an der Fassadengestaltung des Barock, des Historismus, der Moderne und der Postmoderne abarbeiten.

Zeitlich bedingt ging sich tatsächlich nur der Historismus aus, -gerade jener, weil das Amerlinggymnasium im 6. Bezirk von Wien beispiellos ist für sein Anschauungsmaterial an Originalbauwerken des Historismus,- es ist davon umgeben. Zusätzlich zu einer Naturstudien-Einheit, die wir an den Fenstern unseres Stockwerkes im Abzeichnen unserer nachbarschaftlichen Häuser verbrachten, veranstaltete ich ein Detournement. Dabei wurde den SuS zum Einen die situationistische Art vorgestellt, eine Stadt zu erkunden, zum Anderen sahen und bewegten wir uns dabei an historistischen Bauwerken entlang und um sie herum. Ein Walk entstand, bei welchem die SuS nach alphabetischer Reihe ihres Vornamens an jeder Hausecke entscheiden sollten, in welche Richtung wir als nächstes gehen würden. Da Wien in den inneren Bezirken voll von Historismus ist, war es ganz gleich, in welcher Richtung wir uns vorwärts bewegten, ich konnte in regelmäßigen Abständen Stopps einbauen, und auf bestimmte typologische Merkmale eingehen. Insgesamt besprach ich dabei mit jeder der drei 5. Klassen andere typologische Elemente, weil wir zb. nicht jedes mal an einer korinthischen Säule mit Kaneluren vorbei kamen.

Bzgl. der Detournements sind zwei Ereignisse erwähnenswert: Während dem Stop und der Rede zu den Details eines Hauses öffnete sich eines der Fenster und eine Frau sah auf uns herab. Sie nahm es zum Anlass, sich vor uns zu verneigen, woraufhin alle lachten. Es folgte ein kleines Gespräch über die Raumstimmung,- das Raumgefühl, ausgestattet mit Fragen zur Stukatur der Innenräume, die allerdings von der Frau nicht beantwortet werden konnten. Dies mag auch daran gelegen haben, dass die Luftentfernung zwischen uns doch einige Meter groß war, als auch einige Autos vorbeifuhren und ich daher einige Fragen schreiend vorgetragen hatte. Die Art Begegnung und der Umgang mit dieser Person innerhalb unseres Detournements könnte vielleicht nachhaltig Bewusstsein für den positiven Normenbruch hervorgerufen haben, der für die Kunst so wesentlich ist.

Das zweite Ereignis war halb erwartet,- SuS einer anderen 5. Klasse entschieden sich abwechselnd drei mal dafür in die eine Richtung und wieder zurück zu gehen. So gingen wir den gleichen Weg drei Mal und besprachen doch jedes Mal andere architektonische Details.

14.12.2021

Die Planung der praktischen Umsetzung von Lebkuchenhäusern im historistischen Stil ist einigermaßen schief gelaufen, und verantwortlich dafür bin in erster Linie ich selbst. Für ein Lebkuchenhaus mit vier Wänden von 20x30 cm braucht es 2 kg Lebkuchenteig. Für drei Lebkuchenhäuser werden demnach 6 kg Teig benötigt. Ich hatte 1,6 kg mit genommen, uns fehlten also große Mengen Teig.

Eine Möglichkeit wäre gewesen, dass die Teilnehmenden jeder Gruppe eine Wand auswählen und ein Haus aus vier Gruppen gebaut würde. Ein anderer Weg wäre gewesen, die Größe auf ein schaffbares Maß zu reduzieren. Diese zwei Alternativen bedürften der Improvisationskompetenz, sowie einer freien Haltung hinsichtlich des angestrebten Ergebnisses.

Andererseits ist auch die Kompromisslosigkeit in der Durchsetzung eines anfangs vielleicht utopisch wirkenden Projekts von großem Wert. Es kommt auf die Frage hinaus, ob ich es mir schwierig machen will mit der Aussicht auf größere Erfolgserlebnisse, oder Alternativen finde, die es mir leichter machen, aber den Prozess und die Ergebnisse mittelmäßiger. Wobei es natürlich auch passieren kann, das sich der alternative Weg als der deutlich bessere Weg herausstellt. Gunter Damisch sagte bspw., dass die Bilder, in deren Verfertigungsprozess er Fehler machte, sich nachträglich als die besten Bilder herausstellten.

Da vor allem die SuS den restlichen Teig kaufen gehen wollten, gingen wir also erst zum nächsten Hofer und nachdem dieser keinen Teig hatte, in die entgegengesetzte Richtung zum Billa, wo noch Reserven zu finden waren. Da die Gruppe sich zog,- es gibt immer die Schnellen und die ganz Langsamen, Schlurfenden, wurde ich etwas gestresst hinsichtlich der uns verbleibenden Zeit, und ordnete gemeinsames Jogging an. Kurzfristig wurde die BE Gruppe also zu einer Jogging-Fitnessgruppe, die fast showmäßig die Mariahilferstraße hinunter joggte.

Als wir endlich mit dem nötigen Material in der TBT Küche angelangt waren, war die erste Hälfte unserer Einheit kurz vor ihrem Ende. In der verbleibenden Zeit kneteten und rollten sich die SuS in Begeisterung. Die gestresste Grundstimmung der ersten Halbzeit blieb jedoch erhalten und der anfangs ritualhaft geplante Charakter des Ganzen ging ganz verloren, wenn davon abgesehen wird, dass es auch sehr lebhafte und quirlige Rituale geben kann.

Leider ging auch die fachsprachliche Thematisierung der Bauformen unter, auf die das ganze Konzept ausgerichtet war. Das mag allerdings beim kommenden Mal noch gelingen, wenn die Stilelemente durch Zuckerguss und Marzipan auf die nackten Lebkuchenwände hinzugefügt werden.

Im Besonderen und bisher allein in seiner Art ist die Aedikula eines Eingangstores sehr gelungen. Es ist zwar nicht gerade historistisch, vielmehr erinnert es an gotische Tore, aber da der Historismus ein Stilpluralismus ist, lässt sich das schon argumentieren.

Ein unvorhergesehenes Detail war die Blasenbildung beim Backvorgang im Ofen, die mich unwillkürlich an diverse ‚schmelzende‘ Objekte von Erwin Wurm erinnerten. Ich zeigte eines dieser Häuser auf meinem Handy der neben mir ins Ofenglas starrenden Schülerin, -ein denkwürdig ungewöhnlicher Moment für des pädagogische Verhältnis und den Schulalltag.