Gestern las ich in der Zeit, dass in chinesischen Klassenzimmern mittlerweile Überwachungskameras verhindern, dass Lehrende über Geschehnisse wie das Tian’anmen-Massaker berichten. Gleichzeitig kommen aus dem Iran Bilder, auf welchen Mädchen ihre Haare entblößen und dabei dem Foto des Ajatollah Chamene’i den Mittelfinger zeigen.
Diese Beispiele zeigen in aufrüttelnder Weise, dass das Klassenzimmer ein politischer Ort-, Unterricht ein politisches Ereignis-, und für Schüler:Innen Schule längst kein neutraler wie auch kein geschützten Raum ist.
Hierzulande ist das Klassenzimmer wohl kein so offensichtlich zivilgesellschaftlicher Kampfplatz. Das liegt erfreulicher Weise an den Wirkungsweisen der Demokratie und des Rechtsstaates. Wohl gibt es in den besten Demokratien manche Unfreiheiten, problematische Ungleichheitsverhältnisse, blinde Flecken, die ungerechtfertigte Hierarchien konstituieren, und zuweilen korrupte Vorgänge, aber sie alle befinden sich hierzulande auf einem vergleichsweise sanften Niveau.
Dies alles hervorzuheben, klar zu machen, und aufzuzeigen ist in Österreich Gegenstand der politischen Bildung als fächerübergreifendem Prinzip. Gerade in Bildnerischer Erziehung bieten sich obige Beispiele zur Behandlung oder zumindest zur Diskussion an. Überwachungskameras müssen nicht in Betrieb sein, um ein Klima der Kontrolle zu schaffen. Es können schon Attrappen solch ein Klima schaffen. So ist es möglich, im BE-, oder Werkunterricht Kameraattrappen herzustellen, zb. aus Karton, und sie im Schulhaus zu positionieren. Ein Experiment solcher Art könnte SuS wie Lehrende fühlen lassen wie es ist, bei jedem Handgriff kontrolliert zu werden. (In höheren Klassen kann dazu auch etwas Foucault-Lektüre hinzugezogen werden zb. aus dem Buch > “Überwachen und Strafen”)
Im Fall der iranischen Mädchen, die ihre Mittelfinger gegen das Foto des verhassten Ajatollahs richten, ist diskutierbar, wie die Abbilder funktionieren. Dies ist eine Thematik mit langer Tradition, beginnend vielleicht bei uralten religiösen Geboten darüber, dass man keine Götzen anbeten, bzw. sich kein Bild von Gott machen soll. Im BE- Unterricht lässt sich da die Frage diskutieren, warum das den Menschen so wichtig war/ist. Das Abbild eines Präsidenten/geistlichen Führers ins Klassenzimmer zu hängen, ist schließlich ähnlich wenn nicht gleich dem Vorgang der Anbetung eines Götzenbildes. Ein Symbol, vielfach reproduziert, verstärkt durch Wiederholung seine Wirkmächtigkeit, als Foto einer realen Person nicht unähnlich einem rituellen Personenkult. Im Klassenzimmer setzen sich SuS mit möglichst allen Weltausschnitten auseinander, immer in der gleichen Weise- über ein vermittelnde pädagogische Instanz. Die pädagogische Instanz wird von den Lehrpersonen verkörpert, und abseits dessen auch durch das immer wieder kehrende Abbild des Präsidenten. Dieses Abbild wird in der Aneignung mit jedem Weltausschnitt mit assoziiert.
Besonders ist an den Bildern aus dem Iran diskutierbar, dass es sich dabei nicht um Anbetung handeln muss, sondern eine solche auch in Ablehnung oder sogar Hass umschwenken kann. Das Symbol wird so zwar vom Hegemon mit der Hoffnung einer affirmativen Wirkung ins Klassenzimmer gehängt, aber die Wechselseitigkeit des pädagogischen Verhältnisses erlaubt es, die Richtung umzudrehen.