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SCHULE IN FEUER

Seit dem Beginn des vorherigen Jahres, als ich die heurigen 12-Jährigen übernommen habe, beobachte ich in dieser Klasse einen Grundkonsens, der lautet: “Schule ist Scheisse”.

Zeit, darauf zu reagieren! Aber wie? Herausgefordert ist die Vermittlung zwischen Schüler:innen und Schule. Dieses Verhältnis ist aus der Sicht der SuS ein feindseliges. Als ich näher nachfragte, wurde die Zumutung geäußert, früh aufstehen zu müssen. Als großer Stressfaktor wurden die Prüfungen beschrieben, wegen deren Vorbereitungen kaum Freizeit bliebe. Die schlimmsten Lehrenden sind demnach die, die am Meisten von den SuS verlangen. Zum Beispiel sagte ein Schüler, der Unterricht bei Frau Sowieso würde keinen Spaß machen, weil sie ständig nur abprüft. Ich gab ihm den Tipp, diese Kritik an besagte Lehrerin zu richten, so wie er sie mir gegenüber ausgedrückt hatte. Daraufhin meinte er, sie würde ihm dann nur noch mehr Aufgaben geben.

Schnell kam zu dieser Kritik an der Schule die Kritik an den Eltern dazu. Die Eltern würden die ganze Zeit nur verlangen, dass ihre Kinder lernen, und für Freizeit bliebe keine Zeit. Geriet die Diskussion einmal zum Stichwort Eltern, so ereiferten sich die SuS mit voller Inbrunst in ihren Enttäuschungs-, und Ungerechtigkeitsbezeugungen. “Die Eltern hätten angeblich das beste für ihre Kinder im Sinn, aber sie wollen doch ständig nur, dass sie für die Schule lernen!” war die treffsichere Formulierung einer Schülerin.

Mich erinnern diese Feindschaftserklärungen an manche frechere Kinderliteratur, Pipi Langstrumpf von Astrid Lindgren vorangestellt. Sympathisch sind sie angesichts des unerhörten Tatsache, dass das Schulsystem hierzulande bis heute nicht geschafft hat, breite Alternativen zum Sessel zu schaffen, Klassen zu verkleinern, um den individuellen Bedürfnissen der Kinder nachkommen zu können, Ziffernnoten zugunsten der pädagogisch wertvolleren schriftlichen feedbacks abzuschaffen usw. usw. Was die Noten anbelangt, so bin ich sehr auf Silja Graupes Seite,- die sehr richtig gegen PISA argumentiert: Die Macht der Messung sowie Hartmut Rosa und seiner Resonanzpädagogik: Für Viele ist die Schule eine Zone der Entfremdung

Gut, aber das hilft noch nicht, in dieser konkreten Situation gewinnbringend auf die SuS einzugehen. Gewinn, das soll heißen: Die SuS können ihren negativen Gefühlen Klarheit verschaffen, sie sprachlich artikulieren bzw. in künstlerische Formen, zumal meine Aufgabe in den künstlerischen Fächern ist, die SuS über künstlerische Weltanteile ins Bild zu setzen. Wie ich das anstellen sollte, wusste ich aber nicht, und auch das Nachdenken darüber brachte nichts. Darum stellte ich ein anderes Projekt vor, und schob das Projekt “Schule ist Scheisse” auf für die nächste Auseinandersetzung. Stattdessen sollte sich die Gruppe vorstellen, sie wären als Architekt:Innenteam gewählt worden, einen neuen Wiener Stadtteil zu planen. Dieser Stadtteil sollte Wohnhäuser, ein Verwaltungsgebäude, eine Bibliothek und eine Schule beinhalten. Das Projekt wurde angenommen,- besonders dem Bau der Schule wollten sich mehrere SuS widmen, und gleich zu Anfang stellte eine Schülerin die Frage, ob sie dann die Schule anzünden darf, wenn sie einmal fertig ist. In der Situation wirkte das so naheliegend, dass ich es sofort bejahte, sowie auch die begeisterte Zusatzbemerkung einer anderen Schülerin,- sie würde das filmen wollen,- ihr Vater würde sich mit dem Filmen auskennen usw.

Auf diesem Stand bin ich jetzt, und ich frage mich, ob es gescheit war, diesem Umgang mit Schulkritik zuzustimmen. Was wird es für ein Bild machen, wenn ein Lehrer erlaubt, eine Schule auch nur symbolisch anzuzünden? Ganz zu schweigen vom Umgang mit offenem Feuer im Areal der Schule, ausgelöst von SuS… Andererseits dient die Freiheit der Kunst gerade zu solchen Artikulationsformen von Kritik, und ist es nicht meine Aufgabe, gesellschaftliche Funktionen von Kunst zu vermitteln? Liegt in der Radikalität dieses Projekts, die vergleichbar ist mit dem Anzünden einer Flagge*, nicht gerade der Realitätsbezug, den SuS zurecht einfordern gegen die pädagogische Mittelmäßigkeit des Schulbetriebs? Ich bin mir in diesen Fragen nicht sicher, und hoffe, dass mir Lesende dieses blogs ihre Meinung dazu mitteilen werden.

*in Deutschland stellt das eine Straftat dar.