blog

Zwischen Haut und Haaren

Fachbezug und Relevanz

In den Bereich Menschenbild, Bestandteil wohl der meisten Matura-Themenpools, kann eine Thematisierung von Haut und Fell, bzw. Körperbehaarung einfließen. KunstpädagogInnen, die sich an den österreichischen Bundeslehrplan halten, können sich hier auf die Inhaltsvorgabe ‚Plastik‘ beziehen:

“Der Unterrichtsgegenstand Bildnerische Erziehung erschließt Zugänge zu ästhetisch begründeten Phänomenen unserer visuellen und haptischen Lebenswelt. Die Inhalte beziehen sich auf den Sachbereich bildende Kunst (Malerei. Grafik, Plastik) […]” (Lehrplan der AHS, Stand 2022, S.573)

Wenn Plastik hier entgegen den abtragenden Verfahren der Skulptur als Sammelbegriff für aufbauende Verfahren bezeichnet wird, wie ich vermute (im Studium wurde das nie semantisch getrennt), dann fallen darunter auch sämtliche Abgusstechniken. Somit sind solche Techniken ebenso Bestandteil des Fachs ‚Bildnerische Erziehung‘, als auch des Faches ‚Technisches (und textiles) Werken‘, in welchem die ‚Hüllen,- und Körperbildung‘ (Lehrplan der AHS, Stand 2022, S.114), in den exemplarischen Inhalten festgehalten ist, und Gussverfahren als Bestandteil des praktischen Unterrichts gefordert werden (Lehrplan der AHS, Stand 2022, S.109).

Die Konzeptidee “Zwischen Haut und Haaren” trifft in die Vermittlung technischer Kompetenzen, in der inhaltlichen Dimension zielt sie aber noch darüber hinaus. Die Auseinandersetzung mit Haut und Haaren ist zuvorderst eine Reflexion unseres größten Wahrnehmungsorgans,- der Haut, als Bedeutungsträgerin von kultureller und ethnischer Identität. Der Umgang mit Behaarung führt die Thematik von einer technisch-künstlichen Nachbildung von Haut und Haaren zu Fragen der Selbst,- und Fremdzuschreibung in Sachen Alter, Herkunft, Kultur.

Viele Arbeiten der bildenden Kunst befinden sich thematisch ‚zwischen Haut und Haaren’, so die berühmte, von Oskar Kokoschka in Auftrag gegebene und von Hermine Moos ausgeführte ‚Alma- Puppe‘ von 1918:

Hermine Moos’ Puppe verfügt über eine Haut aus Seide. Moos bemühte sich um die Haptik von Pfirsich, die sich Kokoschka gewünscht hatte. https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-20115-9_38 Hierin kommt ihre Entscheidung zum Ausdruck, der Haptik gegenüber dem visuellen Eindruck das größere Gewicht einzuräumen, und/oder bewusst Abstand von einer realitätsnahen Abbildung zu nehmen. Kokoschka räumte der haptischen Qualität hingegen wenig oder gar keine Bedeutung ein, denn er verspottete die Schöpfung von Moos öffentlich als Eisbärenfell, der er nicht mal französische Unterwäsche anziehen könnte. https://de.wikipedia.org/wiki/Hermine_Moos In einer bildzentrierten Kultur mag die Puppe ein Gefühl von Naivität hervorrufen. Indes arbeitete Moos gewiss nicht in der Erwartung, ihre Puppe würde als Bild reproduziert und von Kokoschka dem öffentlichen Spott preis gegeben. Die haptische Qualität einer Pfirsichhaut aber hat die Puppe vielleicht schon.

Kaum hundert Jahre später zeigt sich Marlene Haring als überaus behaart in ihrer Arbeit “Because every hair is different” von 2005-2009. Gegenüber der Vereinnahmung Kokoschkas, in der dieser allein schon in der Anforderung einer Puppe (wo er die echte Alma Mahler nicht haben konnte) buchstäblich objektifizierte, und den beruflichen Status der von ihm beauftragten Hermine Moos unterwanderte, ist die Arbeit von Marlene Haring im Zeichen feministischer Gegenaneignung entstanden. Der Titel “Because every hair is different” ist interpretierbar als “Kopfhaar- gut, Beinhaar- schlecht, Schamhaar- strittig, Achselhaar- fein” (vgl. https://www.academia.edu/4037645/Marlene_Haring_Because_your_worth_it)

Haring hinterfragt hier also die Stereotype weiblicher Körperbehaarung und schlägt eine dazu alternative Lösung in selbstbewusst thronender Haltung vor: Jedes Haar ist gleich viel wert. Sie spielt hier auch mit der Animalisierung, wenn sie sich halb Mensch, halb Afghanischen Windhund nennt. (siehe Quelle oben) Wenn die patriarchale Struktur jahrhunderte darauf pochte, die ‚emotionalen Frauen‘ wären der Natur näher, und damit etwas weiter entfernt von der Krönung der Schöpfung, die der rationale, vernünftige Mann personifiziert, richteten sich klassische Feminismen gegen so eine Naturalisierung und Objektifizierung der Frau. Harings Intervention funktioniert dabei gerade anders. Sie hebelt den eingestampften Kampf von “Feminismus” gegen “Patriarchat” aus, indem sie sich zu ihrer Verwandschaft zum Tierischen bekennt. Ich sehe Harings Arbeit so mehr dem Gedanken des Kinships im Sinn Donna Haraways nahe. (https://www.campus.de/buecher-campus-verlag/wissenschaft/soziologie/unruhig_bleiben-14845.html)

Ebenso im Sinn Haraways Kinship-Begriff ist es möglich, Berlinde de Bruyckeres Arbeit “MARTHE” von 2008 in das Klassenzimmer zu tragen. Die Verletzlichkeit, die Empfindlichkeit, die Blöße verbindet die Bäume mit den Menschen, und bei Berlinde de Bruyckere wird dieses Verhältnis augenscheinlich gemacht. Die Leiden von Menschen und Bäumen verwachsen miteinander und zeigen die Verwobenheit des menschlichen Schicksals auf dem Planeten.

Einen ganz anderen Zugang wählt Clemens Krauss in seiner Arbeit “Selbstportrait als Kind” von 2017. Mit der bloß als leerer Hülle am Boden des Ausstellungsraumes liegenden künstlichen Haut wollte Krauss das Gefühl der Beschämung, des Betrachtet-Werdens und des Schutzlosen darstellen, mit dem er sich als 13 Jähriger konfrontiert sah. (https://www.monopol-magazin.de/clemens-krauss-haut-das-soll-ich-sein) Solche Gefühle sind wohl seit je her mit Haut verbunden und den Meisten von uns bekannt. Im Kontext der Schule kann Krauss’ Arbeit Anlass geben, diese Gefühle zu reflektieren. In der Abfolge von Harings und Krauss Arbeit, die sich in ihrer körperlichen Blöße (d.h. Behaarung) unterscheiden, kann über die Sichtbarkeit von weiblicher und männlicher Nacktheit im öffentlichen Raum gesprochen werden. Der Umstand, dass das repräsentative Verhältnis zwischen den Arbeiten von Kraus und Haring umgedreht ist, kann der Diskussion dabei einen visionären Beiklang geben.

Schwer lässt sich darüber hinweg täuschen, dass die bis zu diesem Punkt vorgestellten Künstlerinnen alle weisse Haut bzw. glattes Haar zeigen. Ich gehe davon aus, dass diese Bilder in einer Abfolge zur Diskussion im Klassenzimmer gebracht werden, und so ist ein dramaturgischer Bogen argumentierbar. An diesem Punkt möchte ich darum die Arbeit “underneath” der Künstlerin Yetunde Ayeni-Babaeko aus dem Jahr 2019 zeigen, der der plot-twist als Bildmotiv inhärent ist. Die Arbeit ist vielschichtig lesbar. So ist es möglich zu sagen, dass sich eine (unsere?) Gesellschaft im Wandel befindet, um von einer eurozentrierten stereotypisch weissen Sicht,- und Sichtbarkeit zu einer Diversifizierung der kulturellen und ethnischen Identitäten führt. Problematisieren und aufmachen lässt sich die Darstellung auch durch die Frage, was sich ändern würde, wenn die äußere Schicht dunkler als die innere wäre. Mich persönlich beunruhigt dieses Bild, und ich weiß nicht genau, warum. Ist es der Umstand, dass die weisse Hand den dunkleren Körper zu befreien scheint, oder das fragwürdige Bild zivilisatorischer Häute, welches sich dabei aufdrängt? Vielleicht gebietet die Darstellung dem weiss-männlichen Lehrkörper aber auch, sich zur Unsicherheit zu bekennen.

Entlang dieser Bild-besprechungen, die ich mir als motivierte hitzig geführte Diskussionen im Klassenzimmer vorstelle und wünsche, kann ein praktisches Konzept überlegt werden, in dem, wie bereits oben erwähnt, Gusstechniken mit Silikon, Gips, Alginat etc. zur Anwendung kommen, und in dem die SuS Haut nun auf künstlerischem Weg ‚nahe‘ kommen.