Was ich als prägend in meinem Kunstunterricht erfahren habe, war der immer wieder wiederholte Hinweis meiner Werbegrafik-Lehrer, das jede ästhetische Entscheidung eine Bedeutung hat, die von anderen gelesen wird.
In diesem Sinn wird jede visuelle Erscheinung von anderen gedeutet, also gelesen, oder zumindest bietet jede Oberfläche an, interpretiert zu werden…
Das ist ein ziemlich seltsamer Vorgang.
So lesen Menschen bspw eine Absicht in roten Lippen, oder in SUVs oder in weissen Schuhen, oder in der bildnerischen Darstellung eines Hirsches im Wald.
Dieser oft völlig fehlerhaften Deutung der Absicht gesellt sich die Deutung der Erscheinung selbst bei.
Das totale Versagen stellt sich ein, fehlt man in beiden Deutungsversuchen. Einer roten Lippe Erregung abzulesen ist etwas anderes, als eine Schnecke mit einer Lippe zu verwechseln. Kommt beides zusammen, ist das entweder lustig oder unangenehm.
Jedenfalls ruft es Emotionen hervor, die „korrekte“ Deutungen oft nicht erzeugen.
Hier setzt die Bedeutung von Nonsense ein, einer wichtigen und doch wenig behandelten Komponente des Kunstunterrichts.
Zum einen verspricht Nonsense keinen Sinn zu machen, und natürlich ergibt auch das in unserer Gesellschaft wieder einen Sinn, zumal den Sinn der Abgrenzung und Definition einer sinnvollen Welt. Zum anderen ermöglicht Nonsense einen Bruch im Deutungsgeschehen, begleitet vom irritierten Ausruf: „Das macht doch keinen Sinn!“ Der Nicht-Sinn ist derweil Teil eines jeden Lebens, angefangen bei dem Eingeständnis, dass Menschen keine restlos rationalen Wesen sind. Der Umgang mit dem Rest bestimmt die Qualität des Ganzen. Dabei kann es nicht nur um den Versuch gehen, die eigenen irrationalen Anteile rational zu machen, sondern um die existenzielle Tatsache, dass man kein „Ganzes“ ist, noch sein kann und wohl auch nicht sein möchte…
In den Kunstunterricht findet die Thematisierung und vor allem die Praxis von Nonsense meiner Erfahrung nach kaum Eingang. Vielmehr ist ein Fachverständnis vorrangig, das auf den kognitiven Erwerb von Kompetenzen abzielt.
Es gilt viel zu oft, dieses und jenes abfragbar zu wissen (und nachher zu vergessen), statt körperlich, emotional, sozial, spielerisch Erfahrungen mit Sinn und mit Uneindeutigkeit zu machen.
Ein Stück weit ist das auch eine Kampfansage an die Lehre von Konzepten wie dem Itten-Farbkreis. Seine mathematische Schlüssigkeit stammt aus einer Zeit, in der ,man‘ noch restlos an die Rationalität der Aufklärung glauben mochte. Die Lehre vom Itten Farbkreis funktioniert zweifelsfrei, aber ist es dem Kunstfach zuträglich, wenn man die Methoden der strengen Kette von Ursache und Wirkung unterordnet?
Eine andere Möglichkeit ist der spielerische Zugang- den Auftrag an die SuS, zu mischen und selbst zu beobachten, und selbst Gesetze aus den Ergebnissen aufzustellen… so bleibt die Selbstwirksamkeit erhalten, und ein rein kognitiv gelerntes Konzept wird nicht auf Bereiche übertragen wo es ohnehin nicht gültig ist, zb. bei Glasuren in der Keramik oder beim Mischen von Licht.
In so einem Vorgehen macht sich auch Uneindeutigkeit erkennbar, ein dramatisch wichtiger Aspekt, wenn man lernen möchte, differenziert und in Abstufungen zu denken und zu fühlen…