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DIE POLITISCHE DIMENSION DES PRIMATS DER WAHRNEHMUNG

Jetzt habe ich in David Hockneys “Secret Knowledge” Dokumentation hineingesehen, und nun ist klar: Zu wissen, wie Lichtzeichnung zur Zeit von Brunelleschi, vor lichtempfindlichem Papier und vor dem Prozess der chemischen Bäder, die Bildgebung beeinflusst haben mag, verhilft mir zu diesen Schlüssen:

  • Der gesellschaftliche Fortschritt entsteht durch den technischen Fortschritt (unter aller Fragwürdigkeit des Fortschrittsbegriffs.)

  • Der technische Fortschritt verändert die Sehgewohnheiten von Menschen, und über die veränderte Wahrnehmung auch zu einem neuen Denken. Brunelleschi´s Entdeckung der Zentralperspektive ist in Zusammenhang zu bringen mit der Ermöglichung einer neuzeitlichen Ideengeschichte, die dem Begriff des Zentrums nie zuvor da gewesene Wichtigkeit zukommen lässt.

  • Kunst gerät als eine Beschäftigung mit den Vorbedingungen des Denkens in den Blick (Primat der Wahrnehmung). Die gesellschaftliche Relevanz des Kunstfachs wird auf diese Weise anschaulich.

Wie wir wahrnehmen, ist bei weitem keine rein subjektive Angelegenheit. Dies zu zeigen und zu beweisen ist eine der wesentlichsten Aufgaben politisch engagierter Kunstvermittlung. Wie wir wahrnehmen, ist entscheidend dafür, was wir wahrnehmen. Was wir wahrnehmen, ist entscheidend für die Schlüsse, die wir ziehen, und für das Bild, das wir uns insgesamt von der Welt machen. Das ist von enormer politischer Brisanz, und man sollte sich die Gelegenheit, die grundlegenden Bedingungen der Wahrnehmung zu vermitteln, nicht vertun durch eine rein formalistische, oberflächliche Kunstvermittlung.

Wie ist eine Kunstvermittlung zu leisten, die die wahrnehmungstechnischen Vorbedingungen des Denkens offen legt? Sicher sind Kippbilder und Wahrnehmungsspiele Bestandteil solch eines Unterrichts, vielmehr aber ist so eine Vermittlung als ein grundsätzliches Prinzip politisch engagierten Unterrichts zu verstehen, das in jedem Kunstunterricht mit schwingt durch die Fragen: Wie nehmen wir (etwas) wahr? Wie nahmen wir es vor einer Beschäftigung wahr, und wie werden wir etwas nach Abschluss einer Auseinandersetzung wahrnehmen? Wichtig ist es also, die Chronologie der subjektiven und kollektiven Wahrnehmungen in den Blick zu bekommen.

So ist es zu empfehlen, vor dem Unterricht unbefangen abzufragen, wie Schüler_Innen (etwas) wahrnehmen, nur um nach Abschluss eines Projekts darauf zurück zu kommen, und auf die prozessuale Veränderung der Wahrnehmung hinzuweisen.